Nachbarschaft Welt – ein interkulturelles Schulprojekt des Netzwerks Ethik heute

Während sie das Laibchen anziehen bzw. sich das Namensschild umhängen stellen sie sich vor, das andere Kind zu werden.
Die Herstellung eines Freundschaftsarmbands.
Alle Gruppen erhalten differenzierte Informationen und Bilder über die Wohnverhältnisse der Menschen in 'ihrem Land'.
Auch Aktivitäten wie Sketche und Aktionen wie gemeinsames Kochen oder die Organisation einer Ausstellung oder Aktion bei einem Schulfest gehören dazu.
Sie stellen sich vor ein Kind in einem anderen Land mit einem anderen Namen zu sein und begrüßen sich in der Landesprache.
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Das Schulprojekt NACHBARSCHAFT WELT, seit 2014 vom Netzwerk Ethik heute getragen, unterstützt die interkulturelle und interreligiöse Arbeit in Schulen.

Die Gustav Prietsch Stiftung fördert das Projekt seit 2015.

Das Ziel ist, die Schülerinnen und Schüler mit der Vielfalt der Kulturen in Berührung zu bringen. Sie werden altersgerecht und zunehmend tiefer in die Lebenssituation, Tradition, Religion und die Herausforderungen der Menschen auf anderen Kontinenten eingeführt. Sie werden in Länder- bzw. Kulturgruppen aufgeteilt, so dass fünf Kontinente in der Klasse repräsentiert sind. Die zentrale Aufgabe besteht darin, sich in die unbekannte Lebenssituation von Kindern auf einem anderen Kontinent hineinzuversetzen, diese nachzuahmen, auszudrücken und zu reflektieren.

In diesem Prozess der Simulation bzw. versuchten Identifikation lernen sie, die unbekannten Menschen/Kinder und ihre Kulturen mit Empathie und Respekt wahrzunehmen. Ein begleitendes Training in Achtsamkeit unterstützt die Ausbildung einer verbesserten Selbst- und Fremdwahrnehmung; Präsenz, Konzentration und Mitgefühl können wachsen. In einem Dialogtraining lernen die Schülerinnen und Schüler, verschiedene Meinungen und Haltungen wahrzunehmen und wertzuschätzen. Zuhören, ausreden lassen, Mut, sich zu zeigen und sich auszudrücken, Freundlichkeit und Mitgefühl werden verstärkt.

Das Curriculum
Dieses Projekt beruht auf dem Verständnis, dass Lernprozesse in der Schule nur ganzheitlich zu einer Wirkung kommen, wenn sie die gesamte Identität der Schüler/Schülerinnen berühren. Ganzheitliches Lernen geht über kognitive Wissensvermittlung hinaus und bezieht emotionale Haltungen und ihre Entwicklung mit ein.

In diesem Zusammenhang geht es insbesondere darum, dass die Schüler/innen bewusst werden z.B. wie sie auf fremde Lebensweisen reagieren. Sie üben mit Offenheit, Mitgefühl und radikalem Respekt auf ‚Fremdes’ und ‚Unbekanntes’ zuzugehen. Der Simulationsprozess erfolgt über regelmäßig durchgeführte Rituale und angeleitete Imaginationsreisen. Beispielsweise wählen die Kinder sich zu Beginn des Projekts einen in ihrem Land geläufigen Namen. In manchen Klassen bekommen sie dazu ein farbiges Laibchen, wobei jedes Land eine andere Farbe hat. Während sie das Laibchen anziehen bzw. sich das Namensschild umhängen stellen sie sich vor, das andere Kind zu werden. Darüberhinaus begrüßen und verabschieden sie sich in den Landessprachen.

Auch die Themenbereiche in dem Curriculum sind so ausgewählt und aufeinander aufgebaut, dass sie Verständnis und Identifikation unterstützen. Für die Klassen fünf, sechs und sieben umfasst das Curriculum ca. zehn Unterrichtseinheiten, die jeweils über mehrere Schulstunden andauern. Die Themen reichen von Länderkunde über soziale und kulturelle Gegebenheiten bis zu biografischen Daten sowie aktuellen Nachrichten. Jede Unterrichtseinheit hat die gleichen methodischen Bausteine. Die Schüler/Innen verarbeiten die angebotenen Informationen (Internet, beispielsweise www.kinderweltreise.de, Sachtexte und -bücher, Romane, Bilder und Filme) nicht nur mit Hilfe von Arbeitsblättern, sondern auch durch kreative Arbeiten und indem sie ‚ihre’ Autobiografie (beispielsweise als Kind aus China) schreiben.

Dazu werden Stereotypen und Vorurteile unter die Lupe genommen. Beispielsweise erhalten alle Gruppen differenzierte Informationen und Bilder über die Wohnverhältnisse der Menschen in ‚ihrem Land’. So lernen sie beispielsweise, dass nicht alle Kinder in Afrika arm und bemitleidenswert sind. Das war die Auffassung vieler 5. Klässler am Projektbeginn. Vielmehr gewinnen sie eine Vorstellung von dem Zusammenhang von Reichtum und Wohnen in fünf verschiedenen sozialen Gruppen in jedem Land.

Auch die Dialoge werden themenverbunden geführt. Diese Gesprächsform findet in einem Kreis statt, in dem alle gleichwertig sind und sich sehr aufmerksam zuhören und sich ausreden lassen. Im Abschlussdialog jeder Einheit werden die Gemeinsamkeiten und Unterschiede besprochen und Schlussfolgerungen über das Leben von Kindern auf der Erde gezogen. Die Resultate werden bildlich/schriftlich festgehalten. Beispielsweise wurden in der Einheit über die Weltreligionen „Wie die Finger einer Hand – was die fünf Weltreligionen verbindet“ die Gemeinsamkeiten der Religionen in eine Handfläche geschrieben.

Bedeutung der Gustav Prietsch Stiftung für die Entwicklung und Ausweitung des Projekts
Die Gustav Prietsch Stiftung hat sich seit 2015 durch jährliche Spendenbeiträge wesentlich an der Durchführung und Entwicklung des Projektes beteiligt.

Im Frühjahr 2015 hat die Stiftung ermöglicht, dass Unterrichtsmaterialien in Form von Sachbüchern und Filmen für die Unterrichtseinheit ‚Mein Land’ und Jugendromane für Literaturkreise zu den unterschiedlichen Ländern erworben werden konnten.

Aus einer Projektwoche ergab sich die Anfrage einer Lehrerin die Entwicklung des Bausteins Weltreligionen. Die Zusammenstellung der Materialien, Anleitung der Lehrer/innen und auch die Unterrichtsbegleitung des ersten Durchlaufs hat die Gustav Prietsch Stiftung finanziert. Seit dem Jahre 2016 wurde das Projekt auf neue fünfte Klassen in der Bahrenfelder Stadtteilschule ausgeweitet. Die Stiftung unterstützte die Weiterentwicklung des Konzeptes, das Coaching der neuen Lehrer/innen, die Zusammenstellung der Materialien und
die Unterrichtsbegleitung. Im Jahre 2017 organisierten die sechsten und siebten Klassen innerhalb dieses Projekts eine Ausstellung „Weltreligionen – Weltfrieden – Weltethos“. Die Ausstellung wurde von der Stiftung Weltethos konzipiert und realisiert. (http://www.weltethos.org/ausstellung/) Die Ausstellung wurde der Schule von der Arbeitsgruppe Stiftung Weltethos Hamburg zur Verfügung gestellt. Da die Tafeln auf anspruchsvollem Niveau gestaltet sind war es notwendig durch begleitende Unterrichtsmaterialien ein besseres Verständnis zu ermöglichen. Deshalb wurde ein neues Curriculum für den Ethikunterricht der siebten Klassen zu den ethischen Grundwerten erstellt.

Im Jahr 2018 hat die Stiftung dazu beigetragen, das NACHBARSCHAFT WELT-Curriculum für dritte und vierte Schulklassen zu entwickeln. So konnten Unterrichtsmaterialien hergestellt werden, die komplexe Themenbereiche wie Länder und Wohnen verständlich und graphisch anschaulich für die Grundschule aufbereiten.

Bisherige Erfahrungen
Nachbarschaft Welt läuft seit 2014 an der Bahrenfelder Stadtteilschule in Hamburg als Pilotprojekt. In zwei Klassen wurden über drei Schuljahre (5.-7.) und in zwei weiteren Klassen über zwei Schuljahre (5.-6.) thematisch unterschiedliche Projektabschnitte durchgeführt. In 2017 haben drei weitere fünfte Klassen mit dem Projekt begonnen. Im Herbst 2018 sind drei weitere fünfte Klassen in das Projekt eingestiegen.

Im ersten Halbjahr 2018 hat die Eppendorfer Stadtteilschule mit zwei siebten Klassen an dem Projekt teilgenommen. 2019 sind drei weitere fünfte Klassen in das Projekt eingestiegen.

Schüler und Lehrer/innen gaben positives Feedback. Sie fanden Nachbarschaft Welt interessant und wertvoll. Die Schüler haben sich gefreut, wenn das Projekt auf dem Stundenplan stand. Sie haben sich zunehmend ernsthafter für die Lebenssituationen in „ihren“ Ländern interessiert. Die Identifikation ist so weit gelungen, dass sie offen waren „fremde Verhaltensweisen“ nicht zu belächeln und sich davon abzugrenzen. Z.B. fanden auch Jungs sehr interessant, dass im Hinduismus tanzend gebetet wird und wollten das lernen. Schülergruppen, in denen ein echter Dialog anfangs nicht möglich war, weil alles kommentiert und negativ bewertet werden musste, saßen ein Jahr später aufmerksam und wach im Kreis zusammen. Sie trauten sich, Themen anzusprechen, z.B. warum und wozu es so viele verschiedene Religionen gibt.

Die Erfahrung zeigt, dass es möglich ist, dass die Schüler/innen lernen können, sich aktiv um andere Menschen in dieser Welt zu kümmern. Nach einer Projektwoche haben zwei Schulklassen Länder-Collagen angefertigt. Aus einem Dialog über Kinder in der Welt und der Flüchtlingsthematik entstand die Idee aus den Collagen einen Jahreskalender zu fertigen. Die Schülerinnen und Schüler lieferten alle Bestandteile – die 12 Monatsblätter sowie das Titelblatt, das sie selbst auswählten. Eine Grafikerin half ehrenamtlich daraus eine Druckvorlage zu erstellen. Die Produktionskosten übernahm eine Spenderin des Netzwerks Ethik heute. Die Kalender wurden in Eigenregie verkauft und die Kinder entschieden, den Erlös von 1.000 €uro an Flüchtlingskinder zu spenden. Als Dank wurde jedes Kind von UNICEF mit einer Urkunde ausgezeichnet. (https://ethik-heute.org/ich-bin-stolz-kindern-helfen-zu-koennen/) Zwei Jahre später erinnern sie sich mit Stolz in einem Auswertungsinterview über das NACHBARSCHAFT WELT Projekt.
Diese Erfahrung wird bleiben.

Text: Andrea Vermaaten